Über Schall und Raum

Von der Welle zum Ereignis

Klang ist immer ein Raumereignis. Ein Startenor unplugged auf der grünen Wiese ist eine einzige Enttäuschung – genauso wie ein Silvesterböller, der in einer Schneewehe auf freiem Feld explodiert. Erst mit dem richtigen Raumklang beginnt das Hören wirklich Spaß zu machen.

Jeder Raum verändert den Schall. Er stört die Ausbreitung des Klangs mit Hindernissen oder einfach nur durch seine begrenzte Größe. Er setzt mit Boden, Decke und Wänden mehr oder weniger harte Reflektionsflächen. Er schluckt die einen Frequenzen und lässt sich von anderen zur Eigenresonanz aufschaukeln. Er bestimmt mit seinen Dimensionen, seinem Volumen und seinen Materialien, wie schnell und wie stark uns die Echos des Originalklangs erreichen. Er zaubert Phantomschallquellen herbei und lässt (wie zwischen zwei Spiegeln) Endlosschleifen als Flatterechos entstehen. Es gibt eine Vielzahl akustischer Phänomene, die ohne den Raum nicht existieren könnten. Einige davon können sehr unangenehm werden – die meisten aber sind unserem Hörsinn sehr willkommen! Denn wir lernen von klein auf, uns Räume zu „erhören“, indem unser Gehirn aus den vielen Primär- und Sekundärschallquellen ein stimmiges Ganzes zusammensetzt. Mit diesem akustischen Fingerabdruck merken wir uns, welcher Klang zu welchem Raum gehört, und orientieren uns sicher in unser Umwelt.

Für Raumgestalter hat unsere Lernerfahrung allerdings auch eine Kehrseite: Wenn Räume ihr visuelles Versprechen nicht mit dem passenden Raumklang einlösen, geht unser Unterbewusstsein auf Distanz. Wir reagieren mit Abwehr, Irritation oder Stress. Der Raum funktioniert nicht.

Räume gestalten heißt auch, ihren Zweck akustisch zu erfüllen. Ein guter Raum gibt uns mit einem ausgewogenen Nachhall Orientierung, lässt unser Richtungshören nicht im Stich und sorgt für ein sicheres Empfinden für das, was außerhalb unseres Sichtbereiches passiert. Er lässt uns Sprache mühelos verstehen, schafft mit einem diffusen Schallfeld Luft und Lebendigkeit und vermeidet durch seine Pegelminderung Lärmstress.

Noch interessanter wird es, wenn Räume etwas tun sollen, was sie eigentlich nicht können. HiFi-Musikfreunde wissen, wie schwer ein Sinfonieorchester in ein 20-m²-Schlafzimmer passt und wie enttäuschend teure Elektronik im falschen Raum klingen kann. Der Musikraum ist eine besondere Herausforderung: Flatterechos, frühe Reflexionen, fehlende Diffusion, Asymmetrien, kurze Hallradien, ungünstige Nachhallzeiten und kritische Raumresonanzen rächen sich hier sofort. Andererseits ist nichts so langweilig wie der Klang eines akustisch toten Raums! Ein gut klingender Raum ist eine Wohltat für unsere Sinne, auch wenn wir das gar nicht vordergründig bemerken. Viel stärker reagieren wir auf schlechte Räume – die es im Überfluss gibt. Wir haben also guten Grund, bei der Wahl unserer Lieblingsorte kritisch und konsequent zu sein. Denn auf Dauer lässt sich unser Hörsinn nicht betrügen.